vom Überleben zurück ins Leben
Die Nachricht, der Schock, der Zusammenbruch, der Stillstand und dann das Überleben.
Die Nachricht vom (plötzlichen) Tod eines Menschen, kann bei betroffenen Menschen eine Krise auslösen, die sich vielseitig zeigt.
Die einen Menschen stürzen sich in Aktivitäten, gehen zum Sport, an Partys, sie tun alles um sich abzulenken. Sie tun das solange, bis der Moment des Zusammenbruchs kommt und die Realität des Verlustes zugelassen wird. Das Verhalten des Ablenkens durch zahlreiche Aktivitäten, kann eine Art des Vermeidens sein und ist auch eine Form des Ausdrucks von Trauer.
Trauer in allen ihren Möglichkeiten zulassen bedeutet auch den Verlust anzunehmen.
Andere Menschen verfallen in einen Überlebensmodus, sie folgen dem gewohnten Alltag. Sie tun dies und jenes, was von ihnen verlangt wird, sammeln ihre Kräfte für die Pflichten und fallen in „leeren Zeiten“ in sich zusammen. Sie tragen die Trauerlast, setzen einen Fuss vor den anderen und denken einfach nur an das, was als nächstes kommt.
In meiner eigenen Erfahrung war ich Typ 2.
Ich erlebte in drei Jahren drei Todesfälle, wobei der Zusammenbruch beim Tod meiner Schwester am heftigsten war. Meinen psychischen und physischen Schmerzen folgten die Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Lebensverleider, Rückzug, emotionale Ausbrüche und mehrere Blackouts. Ich haderte mit meinem Lebenssinn und stellte meine Zukunft in Frage, es dauerte Wochen, bis ich mich selbstbestimmt für das (weiter) Leben entscheiden konnte.
Zur Umsetzung meines Entscheides „ich will weiter Leben“ setzte ich in meinem Handy einen Termin mit verschiedenen Aufgaben.
Diesen Termin habe ich jeden Tag nach Erledigung auf den Folgetag geschoben. Die Aufgaben viel Wasser trinken, Apfel und Gemüse essen, Bewegung, frische Luft und bewusste Trauerzeit sind zwar simple, waren aber in meiner Trauerkrise ein täglicher Kraftakt.
Erst nach über sechs Monaten konnte ich mich von dieser täglichen Aufgabe lösen und fühlte mich sicher, dass ich nicht erneut in eine tiefe Trauer stürzen würde. Ich setzte eine neue Aufgabe in meinen Handykalender.
Ab jetzt wollte ich vom Überleben wieder zurück ins Leben.
Ich gab mir zur Aufgabe wieder ins soziale und gesellschaftliche Leben einzutauchen, Konzerte und Restaurants besuchen, über Märkte flanieren, Menschenmengen begegnen, unbekannte Orte besuchen und längere (Zug-)Reisen aushalten.
Die gesellschaftlichen Aktivitäten aufbauen und meinen Rückzug abbauen, das konnte ich nur schrittweise umsetzten, die sozialen Begegnungen in all ihren Energien führten mich immer wieder in eine Überforderung.
Durch die physisch und psychisch intensiv erlebte Trauer war mein Nervensystem und Empfinden noch stark beansprucht, es war ein tägliches Training mein Wahrnehmungssystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
In dieser ganzen Zeit war ich ausser vier Tage nach dem Todestag immer arbeitsfähig. In der Arbeitszeit konnte ich meine Trauer „in Teilzeit“ vergessen. Im Rückblick auf diese Situation habe ich zwar überlebt, mich aber auch viel gequält. Ich hatte Angst mich der Trauer vollständig zuzuwenden, und dadurch arbeitsunfähig zu werden mit der Folge meine Arbeit zu verlieren. Die Arbeit war aber auch eine Unterstützung, weil es mein Lebensbereich war, an dem es wie gewohnt weiter ging. Die sich in dieser Zeit entwickelnde Dynamik am Arbeitsplatz mit Verlust meiner Arbeitsstelle habe ich erst viele Monate später erkannt und verstanden.
09.05.2025